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Trieb­werks­instandhaltung passgenau

Triebwerke sind wertvolle Investitionsgüter. Weltweit werden daher jedes Jahr Milliarden US-Dollar in die Reparatur und Instandhaltung investiert. Tendenz steigend: Die Zunahme des Luftverkehrs und neue digitale Techniken machen die Engine-Maintenance zu einem Wachstumsmarkt.

05.2017 | Autorin: Monika Weiner | 11 Min. Lesezeit

Autorin:
Monika Weiner arbeitet seit 1985 als Wissenschaftsjournalistin. Die Diplomgeologin interessiert sich vor allem für neue Entwicklungen in Forschung und Technik sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen.

Zu alt zum Fliegen? Trieb­werke kom­men nur in die Jahre. „Tech­no­logisch gibt es keine Alters­grenze“, sagt Leo Koppers, SVP Marke­ting and Sales bei der MTU Main­tenance. „Wir sehen das am V2500. Mittler­weile sind manche dieser Trieb­werke schon fast 30 Jahre alt und immer noch voll funktions­tüchtig.“

Dafür muss allerdings einiges getan werden, denn natürlich nutzen sich Trieb­werke im Flug­betrieb ab. Strenge Sicher­heits­be­stim­mungen schreiben Instand­haltungs­intervalle vor; in manchen Einsatz­gebieten verschleißen die Bau­teile zudem schneller: Fast 25 Mil­liarden US-Dollar wurden 2015 welt­weit für Instand­haltung, Repa­ra­turen und Über­holung von Trieb­werken – Main­tenance, Repair and Over­haul, kurz MRO – aus­ge­geben. Für 2025 werden 46 Mil­liarden US-Dollar pro­gnosti­ziert. Das ist viel Geld für die Air­lines, die wegen der großen Kon­kur­renz unter Kosten­druck stehen. Warum es sich für sie den­noch lohnt, immer mehr in ein ewiges – oder zu­mindest langes – Leben ihrer Trieb­werke zu in­ves­tieren, weiß Dr. Andreas Sizmann, Ex­perte für Zukunfts­tech­no­logien und Öko­logie der Luft­fahrt beim Bau­haus Luft­fahrt: „Die Air­lines wollen in erster Linie die Verfüg­barkeit der Flotte sicher­stellen, denn jeder Ausfall ist mit hohen Verlusten verbunden. Gleich­zeitig ver­folgen sie das Ziel, die Kosten für die In­stand­haltung möglichst niedrig zu halten.“

Big Data in der Trieb­werks­instand­setzung

Ein Terabyte Daten werden von einem Flug­zeug­trieb­werk durch­schnitt­lich während eines einzelnen Flugs produziert.

Ein Getriebefan-Trieb­werk liefert während eines einzelnen Flugs Daten über 5.000 Para­meter.

Die gesamte Getriebefan-Flotte wird einmal jährlich zwei Petabytes Daten liefern – also 1.000 Terabytes oder 10 hoch 15 Bytes. Das ist aller­dings immer noch weniger als die Speicher­kapazität eines menschlichen Gehirns, die nach Berechnungen von Wissen­schaftlern bei 2,5 Petabytes liegen dürfte.

Jeder Triebwerkseigner hat andere An­forde­rungen

Wie viel ein Flugzeughalter bereit ist aus­zu­geben, hängt von vielen Fak­toren ab: Da sind ein­mal die äußeren Zwänge, wie die vom Gesetz­geber vor­ge­schrie­benen Instand­haltungs­intervalle, die ein­gehalten werden müssen. Wichtig ist aber auch, wie alt die Trieb­werke sind, und ob die Ma­schinen Eigen­tum der Air­line sind und lang­fristig auch bleiben sollen, oder ob sie ge­least sind. Bei eigenen Flug­zeugen kann die Air­line selbst den Zeit­hori­zont des Flug­betriebs be­stimmen. Leasing­firmen, die daran inte­res­siert sind, den Wert der Ma­schinen zu er­halten, fordern unter Um­ständen bestimmte Wartungs­arbeiten und engere Instand­setzungs­intervalle. Fazit: Der Markt ist riesig, aber jeder Kunde ist anders.

Und auch bei den An­bietern von MRO-Ser­vices gibt es große Unter­schiede: Da sind ein­mal die Original Equip­ment Manu­facturers (OEMs) – etwa GE Avia­tion, Rolls-Royce, Pratt & Whitney. Die Original­teile, die sie bieten, sind teuer, erhöhen jedoch den Wert­erhalt. Für einen Halter, der sein Flug­zeug nach zehn bis 15 Jahren noch weiter­ver­kaufen will, ist das ein wichtiges Krite­rium. Um­fassende Service­leistungen bieten aber auch die un­ab­hängigen An­bieter wie die MTU Main­tenance, die Original­teile einbauen können, aber nicht müssen. Und doch gibt es Gemein­sam­keiten: Alle MRO-An­bieter ent­wickeln ständig neue Tech­no­logien, mit denen sich Instand­setzungs­arbeiten opti­mieren und – wenn sie schon nicht vermeid­bar sind – möglichst schnell durch­führen lassen.

(strich:Blick ins Innere) Boros­kopieren eines Trieb­werks bei der MTU Maintenance Hannover. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Blick ins Innere Boros­kopieren eines Trieb­werks bei der MTU Maintenance Hannover.

Blick ins Innere Boros­kopieren eines Trieb­werks bei der MTU Maintenance Hannover.

(strich:Exakte Vor­arbeit) Ein V2500-Hoch­druck­ver­dichter wird für das Hoch­ge­schwin­digkeits­schlei­fen vorbereitet. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Exakte Vor­arbeit Ein V2500-Hoch­druck­ver­dichter wird für das Hoch­ge­schwin­digkeits­schlei­fen vorbereitet.

Exakte Vor­arbeit Ein V2500-Hoch­druck­ver­dichter wird für das Hoch­ge­schwin­digkeits­schlei­fen vorbereitet.

„Ein viel­ver­sprechender Ansatz ist die elek­tro­nische Trieb­werks­über­wachung“, be­richtet Koppers. „Dabei messen Dutzende von Sen­soren während des Flugs Abgas- und Trieb­werks­tem­pe­ra­tur, Sprit- und Öl­ver­brauch, Vibra­tionen sowie den Druck in Ver­dichter, Brenn­kammer und Tur­binen. Die Daten können nach dem Flug aus­gelesen oder vom Bord­com­puter über Satel­lit zur Boden­station gefunkt und dort sofort aus­ge­wertet werden. Auf diese Weise lassen sich tech­nische Prob­leme früh­zeitig er­kennen, au­ßer­dem kann man die not­wen­digen Instand­setzungs­arbeiten besser planen.“ So können die Shop Visits an die tat­sächlichen An­forde­rungen an­gepasst werden: Ist ein Trieb­werk etwa über­wiegend in Wüsten­gegenden unterwegs, wo viel Sand und Staub in der Luft ist, muss es früher in den Engine Shop als eines, das in Nord­europa oder Nord­amerika geflogen wird.

Einsicht Zwei Mitarbeiter der MTU Maintenance Hannover unter­suchen ein V2500-Triebwerk mit dem Boroskop.

NARROWBODY-TRIEBWERKE: SHOP VISITS 2016
Triebwerk: Aktive Flotte: Shop Visits:*
V2500 5.850 800
CFM56-3 1.716 245
CFM56-5B/-5C 7.070 600
CFM56-7 11.750 810
PW2000 562 110
JT8D-200 760 160
*geschätzt, Datenquelle: Flightglobal Fleet Analyzer, März 2017

Immer länger am Flügel

„Insgesamt geht der Trend hin zu immer län­geren Wartungs­zyklen“, betont Koppers. „Das liegt am ver­bes­serten Moni­toring, aber auch daran, dass die Tech­nik immer zu­ver­läs­siger wird: Das V2500 brauchte bis zu fünf Shop Visits über den Lebens­zyklus, neue NextGeneration-Trieb­werke wie das PW1100G-JM oder das LEAP werden ten­den­ziell mit drei aus­kommen können.“ Und weniger Shop Visits bedeuten weniger Stand­zeiten und geringere Kosten: Für einen kom­pletten Service muss das Trieb­werk aus­gebaut und gegen einen Ersatz­motor aus­ge­tauscht werden. Das dauert min­des­tens acht Stun­den. Danach bringt ein Flug­zeug das zu über­holende Trieb­werk in den Engine Shop. Dort stehen Mecha­niker bereit, die die Bau­teile reinigen, prüfen und im Be­darfs­fall ersetzen ­(siehe So läuft die Instand­haltung eines Triebwerks). Das kann Wochen dauern und kostet Mil­lionen für hoch­wertige Ma­te­ri­alien und Ersatz­teile. Viele der kom­plexen Arbeiten, die dabei an­fallen, sind zudem nicht nur tech­no­lo­gisch an­spruchs­voll, sondern auch reine Hand­arbeit. Damit ist jeder einge­sparte oder in die ­Zu­kunft ver­scho­bene Shop Visit ein Gewinn.

Beliebig hinauszögern kann man sie frei­lich nicht: Weil einzelne Kom­po­nen­ten wie Schau­feln und Dicht­segmente extrem bean­sprucht werden, sinkt im Laufe der Zeit die Leis­tung des Trieb­werks. Mit ab­neh­men­dem Wirkungs­grad steigt die Ver­bren­nungs­tem­pe­ratur be­zie­hungs­weise der Kraft­stoff­ver­brauch, er­kenn­bar an der höheren Ab­gas­tem­pe­ratur, im Fach­jargon Exhaust Gas Tem­pera­ture (EGT). Die ab­nehm­ende Dif­fe­renz zwischen der zu­ge­las­senen Maximal­tem­pe­ratur und der Tem­pe­ratur im Flug­betrieb, die EGT-Margin, zeigt die Not­wendig­keit und den Erfolg von Instand­setzungs­arbeiten an. Um sie und damit den Wirkungs­grad wieder zu erhöhen, muss beim Shop Visit etwa das Spalt­maß zwischen Schaufel und Einlauf­belag in der Hoch­druck­tur­bine ver­ringert werden. Dazu dienen Beläge an der Gehäuse­innen­seite oder das Auf­löten einer Pan­ze­rung auf die Schaufelspitzen.

Kosten­optimierung bei älteren Trieb­werken

Sind die ersten Shop Visits schon teuer, so steigen die Kosten rasant, wenn die Flug­zeuge nach 25 bis 30 Jahren das Ende ihres Lebens er­reichen. MRO-Provider wie die MTU Main­tenance bieten daher für den so ge­nannten Mature Engine Ser­vice ein ganzes Port­folio von Lö­sungen an, die nicht mehr loh­nende Instand­haltungs­kosten ver­meiden: Repa­ratur, Ein­bau neuer oder ge­brauchter Ersatz­teile, Zer­legung und Weiter­ver­wertung sowie Leasing von Ersatz­trieb­werken. Der Kunde hat die Wahl.

Link: Aus alt mach neu – Reparatur­ver­fahren im Über­blick

Aus alt mach neu – Reparatur­ver­fahren im Über­blick

Reparieren ist meistens günstiger, als ein Bauteil neu herzustellen. Deshalb hat die MTU Maintenance deutlich in die Entwicklung von Reparaturverfahren investiert - mit erstaunlichen Ergebnissen.

„Wirklich entscheidend sind aller­dings nicht kurz­fristige Ein­sparungen, sondern der lang­fristige Erfolg“, betont Koppers: „Wir haben bei der MTU Main­tenance ein Kon­zept der Life­cycle Optimization ent­wickelt, das die Öko­nomie bei der Instand­haltung, den Erhalt des Werts und die Kunden­zu­frie­den­heit umfasst. Wir versuchen in jedem Einzel­fall die opti­male Lösung zu finden.“ Bei einem Trieb­werk, das noch zehn Jahre am Flügel bleiben soll, emp­fiehlt sich viel­leicht der Ein­bau von Original­teilen; bei einem anderen, das nur noch ein paar Tausend Starts und Landungen vor sich hat, sind ge­brauchte, reparierte Ersatz­teile möglicher­weise aus­reichend. „Unser Vorteil als Independent-Anbieter ist es, dass wir Original­ersatz­teile anbieten können, aber nicht müssen. Gleich­zeitig helfen wir dem Kunden sicher­zu­stellen, dass das Trieb­werk einsatz­bereit ist, so­lan­ge es benötigt wird, und sich am Ende noch für einen möglichst guten Preis ver­kaufen lässt.“

Trends für die Zukunft

Allen Optimierungsstrategien zum Trotz ver­schlingt die Main­tenance aber immer noch Mil­liarden – in den letzten Jahren sind die Kosten für die Shop Visits sogar noch ge­stiegen, weil die An­triebe immer kom­plexer werden. Betrugen die Instand­haltungs­kosten für Trieb­werke 2007 laut der International Air Trans­port Association (IATA) noch 42 Pro­zent der Gesamt­wartungs­kosten, so waren es 2016 bereits 50 Pro­zent.

Bauhaus Luftfahrt-Forscher Sizmann ist über­zeugt: „Der Kosten­druck, unter dem die Air­lines stehen, wird neue Analyse- beziehungs­weise Prüf­ver­fahren hervor­bringen. Diese werden dabei helfen, dass Trieb­werke künftig noch länger am Flügel bleiben können und sich viele Arbeiten während der normalen Stand­zeiten direkt am Flug­hafen durch­führen lassen.“ Die Trieb­werks-OEMs stellen sich bereits auf diesen Wandel ein, sagt Koppers: „Die Ver­meidung von Main­tenance­kosten wird schon in die Trieb­werks­ent­wicklung mit­ein­be­zogen, etwa durch mo­du­laren Auf­bau, um Repa­ra­turen zu verein­fachen, weil man ganze Ein­heiten aus­tauschen kann.“

Fly-by-hour-Agreement oder Time-and-Material-Agreement?

Maintenance-Unternehmen bieten für Shop Visits verschiedene Servicemodelle an, die dem Kunden helfen, die Kosten überschaubar zu halten.

„In Zukunft werden auch virtuelle Tech­niken helfen, Kosten und Zeit zu sparen“, pro­gnos­ti­ziert Sizmann. „Zur­zeit wird zum Bei­spiel er­forscht, welches Po­ten­zial in der Big-Data-Ana­lyse liegt. Kosten­vorteile könnten sich dadurch ergeben, dass sich in Zu­kunft mit Hilfe eines tief integrierten Sensor­netzwerks der Zu­stand eines Trieb­werks während des normalen Be­triebes immer besser er­fassen und aus­werten lassen wird, ohne dass es aus­gebaut und zer­legt werden muss. Interes­sant sind auch die Möglich­keiten der „Augmented Reality“, der computer­gestützten Er­wei­te­rung der Realitäts­wahr­nehmung. Die Über­lagerung von computer­generierten Zusatz­in­for­ma­tionen in Daten­brillen oder Dis­plays kommt in vielen Be­reichen von Kon­struk­tion, Mon­tage und Instand­haltung bereits zur ersten An­wendung und hat ihr Po­ten­zial noch nicht aus­geschöpft.“ Viel­ver­sprechend sei zudem die additive Fertigung mit für die Luft­fahrt zerti­fizierten 3D-Druckern, mit deren Hilfe sich Ersatz­bauteile vor Ort, ohne aufwändige Lager­haltung oder Logistik fertigen ließen.

Noch ist vieles davon Zukunfts­musik. Aber wer weiß: Vielleicht werden Instand­haltung, Repa­ratur und Über­holung von Trieb­werken eines Tages wirklich so einfach, flexibel und schnell, dass sie sich an jedem Flug­hafen durch­führen lassen.

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