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Langsam aber effizient: Luft­schiffe für neue Märkte

Bis heute konnten nur ganz wenige Luft­schiff-Pläne über das Ideen­stadium hinaus­wachsen. Bei den neuen Projekten könnte sich das ändern: Sie setzen auf die richtigen Marktnischen.

04.2018 | Autor: Denis Dilba | 6 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Jour­na­listen­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Sub­stanz. Er schreibt über ver­schieden­ste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

Vom Boden aus ist das leise Surren der Motoren nicht zu hören. Für den Beob­achter schwebt die Zigarre geräusch­los und in majes­tätischer Lang­samkeit rund 300 Meter hoch über dem Boden­see. Wenn das Wetter sehr gut ist, eröffnet sich im sanften Auf und Ab der Thermik aus den Pano­rama­fenstern ein atem­be­raubender Rund­um­blick: Die Gipfel der Alpen, der Schwar­zwald und die Schwäbische Alb sind zum Greifen nah. „Unsere Pas­sagiere vergleichen das sanfte Dahin­gleiten im freien Raum oft mit einer Mischung aus Tauchen und einem Schiff, das ganz leicht mit den Wellen mitgeht“, sagt Franz Günther, Chef­pilot der Deutschen Zeppelin-Reederei (DZR) und Flug­be­triebs­leiter für den Zeppelin NT. Das in Friedrichs­hafen stationierte Luft­schiff konnte seit dem Beginn der kom­merziellen Flüge im Jahr 2001 welt­weit bereits über eine Viertel­million Gäste für die neue Pers­pek­tive auf die Welt von oben begeistern. „Unser Flug­betrieb ist wirt­schaft­lich nach­haltig und profitabel“, freut sich Günthers Chef Eckhard Breuer.

Zeppelin NT Das vom Boden­see stammende Luft­schiff konnte seit dem Beginn der kom­merziellen Flüge im Jahr 2001 welt­weit bereits über eine Viertel­million Gäste begeistern.

Größenvergleich

Der Zeppelin NT ist vier Meter länger als eine Boeing 747-400, eins der größten Flug­zeuge der Welt.

Unterschätzte Ent­wicklungs­kosten

Genau davon träumt auch eine ganze Riege von Unter­nehmen, die mit Luft­schiffen neue Märkte und große Geschäfte im Blick haben. Sie wollen mit ihren Neu­kons­truktionen den Trans­port­sektor auf­mischen, Grenzen aus der Luft über­wachen, fliegende Forschungs­platt­formen und Kom­muni­kations­netze auf­bauen oder zahl­kräftige Touristen an ent­legene Orte befördern. Uwe Apel, Professor für Luft- und Raum­fahrt­technik an der Hoch­schule Bremen, kennt alle diese Konzepte. „Spannende Ideen gibt es seit Jahr­zehnten, aber die meisten davon sind trotz ihres durch­aus großen Potenzials bis heute Ideen geblieben“, sagt der Experte. Einen wesent­lichen Grund dafür sieht Apel in der chronischen Unter­schätzung der Ent­wicklungs­kosten der eigentüm­lichen Flug­geräte: „Sie sind ver­gleich­bar mit denen eines Flug­zeugs.“

Das Teure dabei sei nicht das Aluminium oder die Hightech-Hülle, sondern die Systeme als sicher zu qualifizieren, so der Forscher. Im Prinzip könne man den Preis für die Ent­wicklung grob über das Leer­gewicht eines Flug­geräts abschätzen: „Unter 40.000 Euro pro Kilo­gramm geht nur in seltenen Aus­nahmen etwas“, sagt Apel. Das sei unter anderem auch das Problem bei dem berühmtesten Luft­schiff­pro­jekt aus jüngerer Zeit gewesen. Der CargoLifter sollte Ende der 1990er Jahre mit gewaltigen 260 Metern Länge das größte jemals gebaute Luft­schiff werden und eine Eigen­masse von 260 Tonnen haben – so viel wie die A380 von Airbus. „Da hätte man also mit mehreren Milliarden Euro rechnen müssen“, sagt Apel. CargoLifter kalku­lierte mit einer halben Milliarde. „Das holen Sie später durch keine Maß­nahme wieder rein“, sagt Apel.

Wirtschaft­liches Trans­port­mittel für abgelegene Gebiete

Das müsse aber nicht heißen, dass alle Luft­schiff-Projekte in Zukunft zum Scheitern ver­urteilt seien, sagt Apel. „Für spezifische Auf­gaben, insbe­sondere die Ver­sorgung von abge­legenen Gebieten, sind Luft­schiffe geradezu prädestiniert.“ Solche Remote Areas, etwa Siedlungen in Alaska oder Kanada, sind im Winter über Ice-Roads zu erreichen und werden im Sommer von Trans­port­flug­zeugen an­ge­flogen. Wegen der globalen Erwärmung schmelzen die Ver­bindungs­straßen im Eis aber immer schnel­ler weg und eine Straßen­infra­struktur aufzu­bauen lohnt sich nicht. Luft­schiffe brauchen zum Starten und Landen sehr wenig Infra­struktur und sind günstiger im Betrieb als Flug­zeuge. Sie könnten diese Ver­sorgungs­lücke daher wirt­schaft­lich sinn­voll schlie­ßen. Die Bedingung für den Erfolg sei immer gleich, sagt Apel: „Man muss mit dem Luft­schiff besser sein als das Trans­port­mittel, das die Aufgabe bisher erfüllt.“

Die britische Firma Hybrid Air Vehicles ist sogar davon über­zeugt, dass sie bei solchen Ver­sorgungs­flügen und der Über­wachung von Grenzen mit ihrem Air­lander 10 nicht nur besser, sondern nahezu konkurrenz­los ist. Das liegt an der Kons­truktions­weise des mit einer Länge von 92 Metern derzeit größten Luft­schiffs der Welt. Es handelt sich um ein Hybrid-Luft­schiff. Anders als normale Luft­schiffe, die durch die Gas­füllung schweben, erzeugt es einen Teil seines Auf­triebs ähnlich wie ein Flug­zeug­flügel durch seine Form und ist dabei schwerer als Luft. Der breite, bauchige Riese, der aus­sieht wie mehrere in­ein­ander ver­schachtelte Luft­schiffe und den Spitz­namen „fliegender Popo“ hat, sinkt daher anders als seine Ver­wandt­schaft einfach ab, wenn er nicht mehr in Bewegung ist. Das macht Starts und Landungen un­kompli­zierter. Her­kömm­liche Luft­schiffe hingegen brauchen einen Masten, an dem sie fest­gemacht werden, und eine Fläche, die so groß ist wie ein Kreis mit dem Radius ihrer Länge: Die Luft­gefährte parkt man mit der Nase in den Wind – und der kann aus allen Richtungen kommen.

(strich:LM-H1) Das Hybrid­luft­schiff soll auch in unweg­samem Gelände starten und landen be­ziehungs­weise hier wassern können. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

LM-H1 Das Hybrid­luft­schiff soll auch in unweg­samem Gelände starten und landen be­ziehungs­weise hier wassern können.

LM-H1 Das Hybrid­luft­schiff soll auch in unweg­samem Gelände starten und landen be­ziehungs­weise hier wassern können.

(strich:AIRLANDER 10) Einen Teil seines Auf­triebs erzeugt das derzeit mit 92 Metern längste Luft­schiff der Welt durch seine Form selbst. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

AIRLANDER 10 Einen Teil seines Auf­triebs erzeugt das derzeit mit 92 Metern längste Luft­schiff der Welt durch seine Form selbst.

AIRLANDER 10 Einen Teil seines Auf­triebs erzeugt das derzeit mit 92 Metern längste Luft­schiff der Welt durch seine Form selbst.

Auch der US-Tech­nologie­konzern Lockheed Martin will die Vor­teile solcher Hybrid-Luft­schiffe nutzen. Eigenen Angaben nach ist ihr 82 Meter langer Proto­typ LM-H1 in Bau und wird noch 2018 fertig. Ein Jahr später, sagt Flying Whales, werde ihr Prototyp LCA60T fliegen. Sébastien Bougon, Chef des französischen Unter­nehmens, verspricht ein 140 Meter langes Ungetüm, das Lasten bis zu 60 Tonnen trägt. Haupt­einsatz­zweck: Holz aus unzugänglichem Gelände ab­trans­portieren. Der Franzose kann sich aber auch gut vor­stellen, Wind­turbinen oder Strom­masten auf Berg­gipfel zu hieven und Fertig­häuser oder große Flug­zeug­teile zu trans­portieren. „Das hört sich alles nett an, aber außer Hybrid Air Vehicles hat noch kein anderes Unter­nehmen einen fliegenden Proto­typen vor­zu­weisen“, sagt Apel. Und selbst die Briten müssen noch zeigen, dass ihre Ent­wicklung wirk­lich hält, was sie ver­spricht. Zuletzt hat das Unter­nehmen mit zwei Unfällen ihres Luft­schiffs Schlag­zeilen gemacht.

Die Hersteller der neuen Luftschiffe

Lockheed Martin Der US-amerikanische Traditions­her­steller von Luft­fahr­zeugen beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Ent­wicklung eines Hybrid-Luft­schiffs, denn „mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in Gegenden ohne Zugang zu befestigten Straßen oder Runways“.

Hybrid Luftschiffe Das britische Unter­nehmen ist über­zeugt, dass sein Airlander 10 bei der Ver­sorgung abgelegener Gebiete und Über­wachung von Grenzen konkurrenzlos ist. Proto­typen fliegen bereits.

Flying Whales 2019 will das französische Unter­nehmen seinen Proto­typen LCA60T in die Luft bringen. Das Luft­schiff soll 140 Meter lang werden und bis zu 60 Tonnen Last trans­portieren können.

Luftschiff-Projekte der Internet-Milliardäre

Insofern ist die Idee, die sich Amazon 2016 in den USA hat patentieren lassen, auf den ersten Blick im Bereich Science Fiction an­zu­siedeln: Aus riesigen Luft­schiffen, die permanent in rund 13 Kilo­meter Höhe über Städten schweben, will der Online­ver­sand­händler künftig seine Kunden beliefern. Über­bracht werden die Waren von Drohnen. Tatsäch­lich ist so ein schwebendes Lager­haus zwar eine extreme technische Her­aus­forderung, Experten halten die Vision aber nicht für aus­ge­schlossen. Ob und wann Amazon so einen Liefer­dienst aus den Wolken startet, ist aber noch voll­kommen unklar. Das nötige Klein­geld für die Entwicklung hätte Amazon-Chef und Multi­mil­liardär Jeff Bezos aller­dings. Gerüchten nach ist das Projekt von Bezos‘ Milliardärs-Kollegen, dem Google-Mit­gründer Sergey Brin, hingegen schon konkret. In einer der welt­größten Luft­schiff­hallen im kali­fornischen Mountain View ent­stehe gerade etwas, das wie ein gewaltiger Zeppelin aus­sieht, will die US-Nach­richten­agentur Bloomberg erfahren haben. Es könnte ein XXL-Luxus­liner sein. Brin selbst schweigt dazu.

So vage die Aus­sichten gerade auch sind, die Wette auf die Zukunft könnte sich unter Um­ständen doch schnel­ler aus­zahlen als gedacht: „Kommen noch strengere Umwelt­auf­lagen, haben Luft­schiffe einen großen Vorteil“, sagt Apel, denn: „Sie fliegen äußerst res­sourcen­effizient.“ Viel­leicht werden dann ja auch wieder in Friedrichs­hafen Zep­pe­line in Serie gebaut. Dort, wo vor knapp 120 Jahren alles mit dem Erst­flug des Luft­schiffs LZ 1 begann.

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