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Beschich­tungen schützen Trieb­werks­bau­teile

Beschichtungen schützen Trieb­werks­bau­teile vor zu hohen Temperaturen, bewahren sie vor chemischen An­griffen und rapider Erosion durch Sand und Stäube. Auf dem Weg zu effizienteren Flug­an­trieben mit höheren Ver­bren­nungs­temperaturen und einem wirt­schaft­lichen Betrieb sind sie zur Schlüssel­tech­nologie geworden.

05.2017 | Autor: Denis Dilba | 8 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalisten­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Substanz. Er schreibt über ver­schiedenste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

Ausgenommen aggressiver Vulkan­asche, „die sowieso immer um­flogen werden sollte“, sagt Dr. Frank Seidel, kenne er eigent­lich nur eine Sache, die einem Trieb­werk im normalen Flug­all­tag noch mehr zusetzt als Sand: flüssiger Sand. Der kann flüssig werden? „Oh ja“, sagt der Leiter Repair En­gi­neer­ing bei der MTU Main­tenance in Han­nover, „bei Tem­pe­ra­turen um die 1.500 Grad Cel­si­us in der Brenn­kam­mer eines modernen Flug­trieb­werks schmilzt Sand einfach weg.“ Und was die Körn­chen dann mit­unter an­richten, konnten Seidel und seine Kol­le­gen bis vor kurzem bei ihren Re­pa­ra­turen immer wieder be­ob­ach­ten. Da klafften teil­weise zen­ti­me­ter­große Löcher in der Brenn­kammer. Diese Durch­brand-Schäden ent­stehen, wenn die heiße Sand­schmelze mit der Hitze­schutz­schicht reagiert und diese so zum Ab­platzen bringt. Genau an diesen Stel­len brennt dann das Ma­te­ri­al weg. Ähnliches müssen die Schau­feln der Hoch­druck­tur­bine direkt nach der Brenn­kammer erleiden.

(strich:Vor der Reparatur) Brenn­kammer­bauteil eines CF6-80C2. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Vor der Reparatur Brenn­kammer­bauteil eines CF6-80C2.

Vor der Reparatur Brenn­kammer­bauteil eines CF6-80C2.

(strich:Wieder hergestellt) CF6-80C2-Brenn­kammer mit Thermal Barrier Coating. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Wieder hergestellt CF6-80C2-Brenn­kammer mit Thermal Barrier Coating.

Wieder hergestellt CF6-80C2-Brenn­kammer mit Thermal Barrier Coating.

(strich:Abgeplatzt) Schäden an der Hitze­schutz­schicht in der Brenn­kammer eines CF6-80C2. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Abgeplatzt Schäden an der Hitze­schutz­schicht in der Brenn­kammer eines CF6-80C2.

Abgeplatzt Schäden an der Hitze­schutz­schicht in der Brenn­kammer eines CF6-80C2.

(strich:Fast wie neu) Thermal Barrier Coating in der CF6-80C2-Brenn­kammer. Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Fast wie neu Thermal Barrier Coating in der CF6-80C2-Brenn­kammer.

Fast wie neu Thermal Barrier Coating in der CF6-80C2-Brenn­kammer.

CMAS-resistente Hitzeschutzschicht

Oft müssen Flug­zeuge, die solche Schä­den an den Trieb­werken auf­weisen, sogar in kür­zester Zeit die be­trof­fenen Engines außer­plan­mäßig aus­tauschen lassen. Und da man das Trieb­werk an­schlie­ßend für die Re­pa­ra­tur zeit­auf­wändig aus­ei­nan­der­bauen muss, steigen die Aus­gaben noch weiter in die Höhe. Dass solche mas­siven Schadens­fälle bei MTU-Kunden in sandigen Ge­genden künftig seltener werden, liegt an einer neuen Ent­wick­lung der MTU Aero Engines: einer Hitze­schutz­schicht, die dem flüs­sigen Sand weit­gehend wider­stehen kann. Die so­ge­nannte CMAS-re­sis­tente Hitze­schutz­schicht – das Buch­staben­kürzel steht für Cal­ci­um-Ma­gne­si­um-Alu­minum-Sili­cates, den Haupt­bestand­teilen von Sand – ist nur ein Bei­spiel für die Leistungs­fähigkeit und Viel­falt der bei der MTU ein­ge­set­zten Be­schich­tungs­systeme. Übliche Thermal Barrier Coatings be­stehen aus einem me­tal­lischen Kor­ro­si­ons­schutz und einer da­rü­ber lie­genden Schicht aus Yttrium teil­sta­bi­li­sie­rtem Zirkonoxid (YSZ), einer mikro­po­rösen Ke­ra­mik. „Dieses Oxid­ke­ra­mik leitet nur sehr schlecht Wär­me weiter und hält die mit Luft ge­kühlten Bau­teile auf nied­rigeren Tem­pe­ra­turen“, erklärt Seidel. Kommt YSZ al­ler­dings mit ge­schmol­zenem Sand in Kontakt, saugt es sich voll, ver­härtet und platzt ab. Daher hat Seidels Team über das YSZ eine weitere Schicht plat­ziert, die so mit der Sand­schmelze rea­giert, dass die Wärme­dämmung erhalten bleibt. „Das Knifflige daran war, nach­zu­weisen, dass die normale Hitze­schutz­schicht unter dem zu­sätz­lichen CMAS-Schutz auch dann tadel­los funk­ti­o­niert, wenn man nicht in Ge­bieten mit viel Sand fliegt – sonst hätten wir keine Zu­las­sung dafür be­kom­men“, sagt Seidel. „Wer in heutigen Trieb­werken nach einem Bau­teil sucht, das nicht be­schich­tet ist, muss tat­säch­lich etwas suchen“, sagt Dr. Jörg Eßlinger, Leiter Werk­stoff­technik bei der MTU in München.

Mehr als die Hälfte der Bauteile im Triebwerk sind beschichtet

„Mehr als die Hälfte sind näm­lich bereits in der einen oder anderen Art be­schich­tet.“ Die eine große Grup­pe der Be­schich­tungen wird vor allem gegen Ab­rieb ein­ge­setzt. Der kann einer­seits durch ein­ge­sogenen Sand und Staub ent­stehen, die auf Trieb­werks­bau­teile wie ein Sand­strahl­gebläse wirken, ander­seits aber auch dadurch, dass sich Bau­teile ge­gen­ei­nan­der bewegen und reiben, bei­spiels­weise Schau­feln und Ge­häuse­teile. Die andere große Be­schich­tungs­gruppe hat die Auf­gabe, vor heißem Gas und chemischen An­grif­fen auf die Werk­stoffe zu schützen, wie bei­spiels­weise dem von flüs­sigem Sand. Der Anteil von Be­schich­tungen wird in Zu­kunft noch weiter wachsen, ist sich der Ex­perte sicher. Das liegt vor allem daran, dass eine der wenigen Möglich­keiten, die man über­haupt noch hat, die Effi­zienz von Trieb­werken zu steigern, darin liegt, die Ver­bren­nung noch heißer ab­laufen zu lassen. Eine Heraus­for­de­rung, die die Trieb­werks­ma­te­ri­alien ohne bessere und leistungs­fähigere Be­schich­tungen nicht meistern können: „Schon heute wären die meisten Ma­te­ri­alien ohne High­tech-Schich­ten nicht ein­satz­fähig“, sagt Seidel.

Interaction: Beschichtungen im Triebwerk

Beschichtungen im Triebwerk

Ohne Hightech-Beschichtungen neuralgischer Triebwerksteile wäre die Luftfahrt heute nicht das, was sie ist. Was dahintersteckt, oder besser: drinnen. Zur Interaktion ...

Dazu komme noch ein weiterer Aspekt, sagt Thomas Dautl, Leiter Fertigungs­tech­no­logien bei der MTU: „Mit insgesamt wartungs­ärmeren Trieb­werken rechnet sich das Fly-by-Hour-Geschäfts­modell besser.“ Dabei bezahlen die MTU-Kunden für die Flug­stunden, die das Trieb­werk geleistet hat, eine Gebühr, die sowohl die plan­mäßige In­stand­haltung als auch un­geplante Repara­turen be­inhaltet. „Ähnlich wie bei einer Versicherung“, so Dautl. „Je weniger un­ge­plante Schäden auf­treten, desto besser für den Kunden und desto mehr Kosten­er­sparnis für uns.“ Das funktioniere nur, weil die MTU zunächst investiert, erklärt Dautl. „Aber der Hebel ist gigan­tisch, weil sie damit die Lebens­dauer eines Bau­teils um den Faktor zwei bis drei erhöhen können“, so der Fertigungs­experte.

Aufgedampfte Elastizität

Auch der MTU-Erosions­schutz ERCoatnt® trägt dazu seinen Teil bei. „Die Be­schich­tung für Hoch­druck­ver­dich­ter­lauf- und -leit­schaufeln bietet einen sechs- bis zehn­fach bes­seren Wider­stand vor Ero­si­on als un­be­han­delte Bau­teile“, sagt Werk­stoff­experte Eßlinger. In Ge­bieten mit viel Sand, Staub und Aero­solen in der Luft, wie dem Mit­tleren Os­ten oder Indien, muss ein Ero­si­ons­schutz aber auch so gut sein: „Ohne Be­schich­tung kommt es hier bereits nach wenigen Flug­stun­den zu einem Material­abtrag an den Schau­feln und den damit ver­bun­denen Per­for­mance­ver­lusten des Trieb­werks“, sagt Eßlinger. Damit ERCoatnt® dem Partikel-Dauer­beschuss besonders gut stand­hält, haben die MTU-Ent­wickler den Abrieb­schutz als Mehr­schicht­system aus­gelegt. Jeweils zwei Be­schich­tungen im Wechsel werden dazu auf die Schau­feln auf­ge­bracht. Insgesamt rund 15 Schich­ten, jede wenige Mikro­meter dick und immer Me­tall­nitrid gefolgt von Me­tall. So wird ein Di­lem­ma auf­gelöst, das der her­kömm­liche Ero­si­ons­schutz bisher mit­brachte: Legt man ihn hart aus, schützt er gut vor Ab­rieb, ver­größert aber auch die Ge­fahr der Keim­bildung für Risse. Macht man ihn weicher, mindert man dieses Risiko zwar, al­ler­dings zu Lasten der Lebens­dauer der Schicht.

Video: MTU-Erosionsschutz ERCoat Artikel mit Video

MTU-Erosionsschutz ERCoat

Die neue Schutzschicht ERCoatnt® verringert die Erosion im Verdichter, sie bietet einen sechs- bis zehnfach besseren Widerstand als unbehandelte Bauteile. Zum Video

In ERCoatnt® wechseln daher harte und weiche Schich­ten ab. „Das sorgt dafür, dass der Ero­si­ons­schutz eine gewisse Plas­ti­zi­tät besitzt und damit bei Sand-und-Staub-Be­schuss nicht so schnell anreißt“, sagt Dautl. Und falls doch, könne sich der Riss auch nicht un­kon­trol­liert ver­größern, da ihn die weiche Schicht stoppt. Im Lauf der Bau­teil­lebens­dauer werden die einzelnen Schich­ten nach­ein­ander ver­braucht und bieten auch auf den letzten Mikro­metern noch aktiven Schutz. „Und dann bringen wir das Schicht­system einfach wieder neu auf“, sagt Repair-Ex­perte Seidel. Dazu setzt die MTU auf das Physi­cal-Va­pour-Depo­si­tion-Ver­fahren, kurz PVD. Dabei werden die je­wei­ligen Schicht­ma­terialien im Va­ku­um ver­dampft und schlagen sich an­schließend auf dem Bau­teil nieder. „Je länger wir eine Schau­fel im Dampf lassen, desto dicker wird die Schicht darauf“, erklärt Seidel.

Aluminium-Chrom für die Niederdruckturbine

Deutlich längere Bau­teil­lebens­dauer ver­spricht auch eine neue und vor allem für alle Stufen der Nieder­druck­turbine ge­dachte Alu­min­ium-Chrom-(AlCr)-Be­schich­tung. Sie schützt gleich­zeitig vor Oxi­dation bei Tem­pe­ra­turen ober­halb 900 Grad Cel­sius und vor Sulfi­da­tion bei 700 bis 900 Grad. Mit letz­terem Be­griff werden che­mische Re­ak­ti­onen be­zeich­net, die das Ma­terial an­greifen und bei denen Schwe­fel als Ka­ta­ly­sa­tor wirkt. In einem von der MTU pa­ten­tie­rten Ver­fahren wird gezielt sowohl Chrom als auch Alu­min­ium in die Schau­fel­ober­fläche ein­ge­bracht, um je nach An­for­de­rung lokal (also ent­spre­chend des Tem­pe­ra­tur­pro­fils des Bau­teils) gezielt gegen Oxi­da­tion und Sulfi­da­tion zu schützen, sagt MTU-Werk­stoff­technik­chef Dr. Jörg Eßlinger. „Das gibt unseren Kunden Fle­xi­bi­li­tät und in jedem Fall einen vier­mal bes­seren Schutz gegen Sulfi­da­tion als bisher.“

Immer spezifischere Schichten

So eine einstellbare AlCr-Schicht ist für Uwe Schulz vom Institut für Werk­stoff­forschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raum­fahrt in Köln ein Ausblick auf das, was kommt. Der Leiter der Abteilung für Hoch­temperatur- und Funktions­schichten rechnet damit, dass künftig nicht nur mehr Bau­teile beschichtet werden, sondern diese auch deutlich spezifischer. „Einerseits, weil man mehr Möglich­keiten durch ein wachsendes Ver­ständnis von Wirk­mechanismen hat und bestehende Schichten so verbessern kann, dass Trieb­werke noch ein Stück effizienter arbeiten, anderer­seits, weil man bei neuen Werk­stoffen dazu gezwungen wird“, so Schulz. So versprechen etwa faser­verstärkte Keramiken ein großes Ver­besserungs­potenzial bei Wirt­schaftlich­keit, Lebens­dauer und Gewicht für die Trieb­werke von morgen. „Aber auch solche Keramik­werk­stoffe brauchen zusätzliche Schutz­schichten“, sagt Schulz. An den unscheinbaren Schichten mit der großen Wirkung führt auch in Zukunft kein Weg vorbei.

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