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Virtuelles Triebwerk

Die digitale Transformation ist eine der größten Herausforderungen für die Industrie, aber auch eine der größten Chancen. Im Bereich der Triebwerksentwicklung spielt das Virtuelle Triebwerk eine zentrale Rolle. Der AEROREPORT hat sich darüber mit Dr. Stefan Weber, Leiter Technologie und Vorauslegung bei der MTU, unterhalten.

08.2019 | Autorin: Martina Vollmuth | 4 Min. Lesezeit

Autorin:
Martina Vollmuth ist Diplom‑Journalistin und ausgebildete ­Tageszeitungsredakteurin. Bei der MTU ist sie als Pressesprecherin Technologie tätig.

**Dr. Stefan Weber** Leiter Technologie und
Vorauslegung bei der MTU Aero Engines Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Dr. Stefan Weber Leiter Technologie und
Vorauslegung bei der MTU Aero Engines

Dr. Stefan Weber Leiter Technologie und Vorauslegung bei der MTU Aero Engines

Herr Dr. Weber, was ist ein Virtuelles Triebwerk?

Das Virtuelle Triebwerk wird in unserer Branche als Game Changer wahrgenommen.

Man versteht darunter die virtuelle Abbildung eines Triebwerks, das mittels digitaler Konstruktionswerkzeuge und numerischer Simulationen erzeugt wird. Wesentlich ist, dass alle geometrischen und physikalischen Eigenschaften vollumfänglich abgebildet werden. Verschiedene Software-Tools werden so miteinander verknüpft, dass eine durchgehende Berechnung und Auslegung – sprich: Definition - des gesamten Triebwerks möglich wird.

Warum ist das Virtuelle Triebwerk für die MTU wichtig?

Wie alle anderen auch will die MTU die Potenziale der Digitalisierung bestmöglich nutzen. Wir haben uns eine umfassende Strategie zurechtgelegt: Alle an der Wertschöpfung beteiligten Bereiche sollen virtuell abbildbar, simulativ berechenbar und intelligent vernetzt werden.

Das Virtuelle Triebwerk wird für alle Marktteilnehmer zum Dreh- und Angelpunkt für Produktivität und Kompetenzfähigkeit. Alle bekannten Triebwerkshersteller sind in diesem Bereich intensiv tätig.

Welche Vorteile bringt das Virtuelle Triebwerk mit sich?

Hier gibt es zwei Hauptaspekte: den ökonomischen Nutzen sowie neue Möglichkeiten der Triebwerksauslegung, -optimierung und Zulassung.

Wie sieht der ökonomische Nutzen aus?

Durch die enorme Leistungsfähigkeit, die die numerische Vorgehensweise heute schon erreicht hat und die in Zukunft noch weiter zunehmen wird, kann der Aufwand für die Entwicklung und Zulassung von Triebwerken deutlich reduziert werden. Damit erfüllen wir die Forderungen des Marktes, immer schneller neue Produkte in den Markt zu bringen. Kostspielige und zeitintensive Versuchsträger sowie teure Validierungstests lassen sich zunehmend durch Simulationen ersetzen.

Wie sieht die digitale Triebwerksoptimierung aus?

Numerische Verfahren ermöglichen uns neue Wege, innovative Technologien zu entwickeln, zum Beispiel neue Designs oder Werkstoffe. Am Ende der Berechnung eines Triebwerks werden die Gesamtleistungsvariablen bestimmt, etwa Schub, Wirkungsgrad, Kraftstoffverbrauch, Schadstoffausstoß, Herstell- und Reparierbarkeit. Berechnet wird auch die Lebensdauer der Bauteile und die damit verbundene Notwendigkeit, Schadensfällen durch Austausch und Instandhaltung vorzubeugen.

Erst auf der Basis der Ermittlung aller Größen im virtuellen Gesamtmodell des Triebwerks ist es möglich, den Einfluss des Einsatzes neuer Werkstoffe, Bauweisen und Herstellverfahren zu quantifizieren und das Triebwerk so zu optimieren, dass Kraftstoffverbrauch, Schadstoffausstoß und Gewicht verringert werden. Natürlich immer bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebensdauer der Bauteile, Sicherstellung von höchster Robustheit und Zuverlässigkeit sowie wirtschaftlicher Kosten. Wir haben viel vor, denn die Anforderungen unserer Branche an neue Triebwerke sind mehr als anspruchsvoll.

Was tun wir schon?

Vorausschicken möchte ich, dass noch eine erhebliche Entwicklungsarbeit vor uns liegt, bis wir ein Triebwerk virtuell komplett erfassen und die angestrebten Vorteile zur Gänze nutzen können. Entscheidend ist jetzt, wie wir den Weg dahin gestalten, um schon frühzeitig von Teilaspekten profitieren zu können. Konkret tun wir bereits Folgendes:

In der Produktentwicklung haben wir schon seit längerem die Entwicklungsplattform eProtas im Einsatz, in der die meisten unserer aerodynamischen und strukturmechanischen Berechnungsprozesse in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden. Mithilfe von eProtas werden die Entwurfsvarianten einer Komponentenauslegung – Niederdruckturbine oder Hochdruckverdichter – und ihre Konfiguration nachvollziehbar digital dokumentiert.

Während der gesamten Designphase nutzen wir über die verschiedenen Disziplinen hinweg umfangreiche Simulationen zur virtuellen Funktionsabsicherung der Spezifikation und Zulassungsanforderungen. Zentrale Felder der Technology‑4.0‑Strategie der MTU sind, Simulationen in den Bereichen Werkstoffe und Fertigung, das Virtuelle Triebwerk und der sogenannte Digitale Zwilling. Letzterer ist ein 1:1‑Abbild eines realen Bauteils bis hin zum kompletten Triebwerk im digitalen Raum. Ist mit der Virtual‑Engine‑Fähigkeit der Soll‑Zwilling definiert, wird mit dem Ist‑Zwilling die tatsächliche gefertigte und betriebene Realität abgebildet. Hier fließen alle Daten des Bauteil- und Triebwerkslebens ein.

Link: Weltweit einmalig

Weltweit einmalig

Mit dem DLR-Institut für Test und Simulation für Gasturbinen (SG) wird am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Augsburg eine einzigartige Forschungseinrichtung geschaffen.

Wie soll es weitergehen?

In Deutschland engagiert sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sehr stark, um die Digitalisierung voranzutreiben, und hat dazu im vergangenen Jahr vier neue Forschungsinstitute gegründet. Eines davon ist das DLR-Institut für Test und Simulation für Gasturbinen (SG) in Augsburg. In seinem Mittelpunkt steht das Virtuelle Triebwerk. Die MTU war hier mit Ideenstifter und umfangreich in die Konzeption eingebunden. Wir sind als Partner mit an Bord und bringen unsere Expertise und Erfahrung bei Entwicklung und Betrieb von Triebwerken ein. Im Gegenzug melden wir Forschungsbedarfe an und können die einzigartige Testinfrastruktur des neuen DLR-Instituts nutzen. Das gibt uns viele Möglichkeiten, uns weiterzuentwickeln. Es gibt bereits klar definierte Themen, die wir anpacken.

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