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V2500: Kleine Reparatur – große Wirkung

Manchmal kann ein unscheinbares Bauteil beträchtliche Aus­wirkungen haben: Beim Hoch­druck­verdichter des V2500-Trieb­werks reduzierten dünne Ringe zur Schwingungs­dämpfung die Lebens­dauer deutlich. Die MTU Aero Engines hat dafür eine einfache Lösung entwickelt.

05.2017 | Autor: Achim Figgen, Thorsten Rienth | 5 Min. Lesezeit

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Achim Figgen ist Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Luft- und Raumfahrttechnik und hat bereits mehrere Bücher über Luftfahrt-Themen verfasst.
Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.

Die „V“, wie die Instand­haltungs­spezialis­ten bei der MTU Maintenance Hannover das V2500-Trieb­werk nennen, ist im Shop regel­mäßiger Gast. An über der Hälfte aller weltweit fliegenden Mit­glieder der Airbus A320-Familie ist es verbaut. Eigentlich sollte sein Hoch­druck­verdichter 16.000 bzw. 20.000 Cycles halten, also die ent­sprechende Anzahl von Starts und Landungen. Doch schon bald machten die Instand­halter eine andere Erfahrung: In aller Regel musste der vordere Teil der Ver­dichter­rotor­trom­mel, ein sehr wert­volles Bauteil, bereits nach etwa 8.000 Cycles gewechselt werden.

Schuld daran sind vergleichs­weise unscheinbare Bau­teile, nämlich die nur milli­meter­breiten Dämpfungs­drähte aus einer Kobalt-Basis­legierung. Den Ver­dichter­schaufeln der Stufen 6 bis 8 dienen sie als Schwingungs­dämpfer, damit sich Schaufel­kranz und Rotor nicht gegenseitig abnutzen und Schaufel­brüche verhindert werden. Die Drahtenden fraßen sich im Laufe des Einsatzes in die Titan­legierung der Haltenuten ein, in denen die sechs Dämpfer­ringe unmittelbar vor und hinter den Schaufel­füßen sitzen. Sie beschädigten die Nut so stark, dass der Rotor bereits nach besagten rund 8.000 Cycles für den weiteren Betrieb nicht mehr verwend­bar war.

Alt und neu am Schnittmodell Linkes Bild: Vorne die übereinander gelegten Drahtenden, hinten die ineinander geschobenen. Rechtes Bild: Detailaufnahme der verklinkten Drahtenden, die so nicht mehr frei schwingen und sich in die Nutwände der Trommel eingraben können.

Schlüssel-Schloss-Prinzip im Milli­meter­bereich

Zwar hatte der OEM selbst am Draht mehrfach Ver­änderungen vorgenommen. Seine ursprünglich stumpfen Enden rundeten die Ingenieure ab. Später versuchten sie es mit einer Über­lappung der Enden. Die Lösung, die die MTU erarbeitete, war eine Nut-Feder-Variante anstelle der stumpf aneinander stoßenden oder über­lappenden Dämpfungs­drahtenden. Für den Nachweis der Wirksam­keit mussten die Reparatur-Entwicklungs­teams aus den MTU-Standorten Hannover und München sowie eine Viel­zahl weiterer Analytik-, Werkstoff- und Test-Ingenieure das komplette Luft­system genau unter die Lupe nehmen, sämtliche Belastungen einbeziehen und Material­proben unter dem Raster­elektronen­mikroskop unter­suchen.

„Vereinfacht gesagt, steckt ein Schlüssel-Schloss-Prinzip im Bereich von Milli­meter-Bruch­teilen dahinter“, erläutert Trieb­werks­ingenieur Christian Heinzelmaier. „Am einen Ende verjüngt sich der Draht. Das Gegen­stück auf der anderen Seite ist genau so konstruiert, dass das verjüngte Ende wie in eine Art kleinen Tunnel hinein­fahren kann. Auf einer Länge von sechs Milli­metern sind die Enden dabei flexibel – und können dadurch die Wärme­dehnungen und Be­lastungen ertragen, ohne zu brechen. Der Clou dabei ist jedoch, dass durch diese Verklinkung die Drahtenden nicht mehr frei schwingen können, sich dadurch nicht mehr in die Nut­wände eingraben und die Reparatur der Nut­wand durch Aus­schleifen viel später fällig wird.“ Eine vergleichs­weise einfache Lösung sei das. „Aber man muss halt draufkommen.“

Zweite Baustelle: äußere Nutwand

Denn weil die äußere Nutwand besonders an der achten Stufe sehr dünn ist, bleibt bei starken Be­schädigungen nach dem Abschleifen kaum noch Material übrig. Deshalb wird die Schad­stelle bei der Reparatur komplett herausgefräst. Weil dadurch keine Auflage­fläche für die Schaufeln mehr vorhanden ist, was zu einem unzulässig starken Kippen führen könnte, versieht die MTU die vordere Nut­wand mit einer wenige Zehntel Milli­meter dünnen Beschichtung. Dabei kommt ein neues und funkenfreies Verfahren zur Anwendung. „So können wir aus­schließen, dass die Eigen­schaften des Rotor-Titan­werk­stoffs be­ein­träch­tigt werden.“

Video: V2500 Instandhaltung bei der MTU Maintenance Artikel mit Video

V2500 Instandhaltung bei der MTU Maintenance

Das V2500 treibt die Airbus A319, A320, A321 - und auch die McDonnell Douglas MD-90 an. Seit 1989 wird es bei der MTU in Hannover, seit 2003 auch bei der MTU Maintenance Zhuhai, China, instandgehalten. Zum Video

Zulassung nach 8.000 Cycles und 150 Stunden Dauerlauf

Dass sich der reparierte Rotor genauso wie der ursprüngliche Rotor verhält und auch sonst keine weiteren Be­schädigungen auftreten, erkannten die EASA und die FAA mit ihrer Zulassung des Ver­fahrens an. 8.000 Cycles mussten die Dämpfungs­drähte dazu auf dem Prüf­stand durchlaufen. Schließlich folgte ein 150-Stunden-Dauerlauftest in einem kompletten V2500-Triebwerk. Mit der Zulassungs­urkunde ist die MTU Maintenance das einzige unabhängige In­stand­haltungs­unter­nehmen welt­weit, das eine im eigenen Haus entwickelte Reparatur an einem lebens­dauer­limitierten Bau­teil durchführen darf, dessen Design­ver­ant­wortung nicht bei ihm selbst liegt. Erste Erfahrungen aus dem praktischen Einsatz zeigten her­vor­ragende Ergebnisse mit kaum mess­barem Verschleiß und bestätigen die Funktionalität der Reparatur­lösung. Erster Groß­kunde dafür war die US-amerikanische Flug­ge­sell­schaft JetBlue. Sie setzt das V2500-Triebwerk an ihren Airbus-Flug­zeugen vom Typ A320 und A321 ein.

Die Reparatur spart vor allem Kosten und sichert die Kapazitäten der Flotte ab. „Jedes Mal, wenn ein Rotor aus­ge­tauscht wird, muss das Trieb­werk komplett vom Flügel genommen werden“, erklärt Gert Wagner, Director Engine Programs bei der MTU Maintenance Hannover. „Das ist mit einem nicht zu unter­schätzenden Zeit­auf­wand verbunden.“ Zeit, in der die Air­line keine Passagiere trans­portieren kann – und auch kein Geld verdient. Ein positiver Neben­effekt der Reparatur: Wert­volles Material am Rotor bleibt länger erhalten. Eins zu eins übertragbar auf andere Trieb­werke sind die neuen Dämpfungs­ringe nicht. „Aber den Aufbau der verjüngten Draht­enden, den merken wir uns natürlich.“

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