2015 wurde es richtig ernst für „Set 1“, denn da mussten die beiden ersten ECM-/PECM-Serienanlagen am Münchner Standort der MTU Aero Engines zeigen, was sie können. Das elektrochemische Duo stellte die Zulassungshardware für das PurePower® PW1100G-JM, den A320neo-Getriebefan, her: die fünfte und die sechste Hochdruckverdichter-Stufe, also Blisks mit einem Durchmesser von rund 450 Millimetern und geometrisch extrem komplexen Schaufeln. Die Musterbauteile wurden vom Auftraggeber Pratt & Whitney hinsichtlich Festigkeit und Geometrie auf Herz und Nieren geprüft – und haben bestanden: Seit September 2015 wird in Serie produziert; zwischenzeitlich kamen zwei weitere Anlagen hinzu, ein drittes Duo ist im Aufbau und weitere zwei Anlagen sind geplant.
Die MTU beschäftigt sich schon einige Zeit mit der zukunftsweisenden PECM-Technologie. In Gang gesetzt wurde die Entwicklung durch die Erkenntnis, dass sich die Bliskbauweise immer weiter durchsetzt, zunehmend auch im Hochdruckverdichterbereich. Blisks haben gegenüber ihren Pendants mit gesteckten Einzelschaufeln einen großen Vorteil: Durch die integrale Bauweise wird die Randlast der Rotorscheiben reduziert und damit Gewicht gespart. Zusätzlich trägt der Wegfall von Leckagen zu einem besseren Wirkungsgrad im Verdichter bei. „Beides zusammen reduziert den Kraftstoffverbrauch und damit auch den CO2-Ausstoß des Triebwerks“, erklärt MTU-Ingenieur Thomas Frank, Leiter Rotorfertigung und für Nickelblisks verantwortlich.
Präzisionsarbeit Die fertig bearbeitete Hochdruckverdichterblisk wird aus der Maschine geholt. Das Bauteil ist bereits auf Endkontur gearbeitet, da PECM wesentlich exakter ist als herkömmliches elektrochemisches Abtragen.
Neues Verfahren für neue Geometrien und Werkstoffe
Die Verbrauchsvorteile und die Emissionsreduzierungen bekommt man technisch gesehen jedoch nicht geschenkt. Bei den Stufen fünf und sechs im Hochdruckverdichter herrschen Temperaturen von rund 650 Grad Celsius. Dafür ist der im Verdichterbau übliche Werkstoff Titan nicht geeignet, denn das Leichtmetall weist bei diesen Temperaturen nicht mehr die geforderte Festigkeit auf. Für das PW1100G-JM werden stattdessen hochtemperaturfeste Nickellegierungen eingesetzt, die mit konventionellen Fräsverfahren aufgrund des hohen Werkzeugverschleißes nicht wirtschaftlich bearbeitet werden können. Hinzu kommt die extrem komplexe 3D-Geometrie der Schaufelblätter. Das bisher für größere Blisks erfolgreich eingesetzte ECM-Verfahren stößt da an seine Grenzen. Es musste eine noch präzisere Methode entwickelt werden: PECM.
Beim PECM- wie auch beim ECM-Verfahren wird mit Hilfe eines Elektrolyten sowie elektrischen Stroms ein metallischer Werkstoff gezielt aufgelöst. Dabei dient der zu bearbeitende Werkstoff als Anode (positiver Pol) und das dreidimensionale, metallische Abformwerkzeug als Kathode (negativer Pol). Der große Vorteil von PECM gegenüber zerspanenden Verfahren: Das Bauteil wird nicht berührt, weshalb die Werkzeuge verfahrensbedingt nicht verschleißen. Als Elektrolyt kommt eine wässrige Natriumnitratlösung zur Verwendung, die zwischen Anode und Kathode fließt. Diese Flüssigkeit hat drei Funktionen: Sie stellt eine elektrisch leitende Verbindung her, sorgt für den Abtransport des abgetragenen Materials sowie des entstehenden Wasserstoffs und kühlt den Prozess. Das PECM-Verfahren erzielt im Vergleich zum ECM-Verfahren höhere Genauigkeiten durch die Bearbeitung mit extrem kleinen Spalten im Mikrometerbereich zwischen Werkstück und Elektroden.
Im Gegensatz zu herkömmlichen, einachsigen Verfahren wird das Werkstück mit zwei Elektroden gleichzeitig, die aufeinander zufahren, bearbeitet. Das war nicht einfach in den Griff zu bekommen. Auch die Elektrolytlösung musste noch verbessert werden. Daher entschied sich die MTU, die Serienanlagen selbst zu entwickeln und aufzubauen. Martin Bußmann, Projektleiter für die Industrialisierung des neuen Verfahrens: „Wir hatten bereits spezielles Know-how aufgebaut, so dass wir auf der einen Seite die gleiche Qualität bei externen Lieferanten gar nicht mehr bekommen konnten – und auf der anderen Seite natürlich auch diesen Wissensvorsprung halten wollten.“
Die Technologieentwicklung hat sich ausgezahlt, denn die Vorteile des PECM-Prozesses sollen künftig auch bei anderen Bauteilen oder Fertigungsschritten genutzt werden. Denn prinzipiell ist das Verfahren für viele Anwendungen geeignet, etwa zur Kantenverrundung oder zur Herstellung einzelner Lauf- und Leitschaufeln. „Die Schaufelgeometrien im Hochdruckverdichterbereich werden noch komplexer, die Werkstoffe immer warmfester. Konventionelle Zerspanungstechnik stößt hier mehr und mehr an ihre wirtschaftlichen und technischen Grenzen“, sagt Produktionsleiter Frank. „PECM bietet eine zukunftsfähige Alternative.“