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Precise Electrochemical Machining: Entwicklung bei der MTU

Das von der MTU Aero Engines entwickelte Precise Electrochemical Machining (PECM) für integral beschaufelte Verdichterrotoren (Blisks).

11.2016 | Autor: Denis Dilba | 5 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalisten­schule und gründete das digitale Wissen­schafts­magazin Substanz. Er schreibt über ver­schiedenste Themen aus Technik und Wissen­schaft.

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2015 wurde es richtig ernst für „Set 1“, denn da mussten die beiden ersten ECM-/PECM-Serien­anlagen am Münchner Standort der MTU Aero Engines zeigen, was sie können. Das elektro­chemische Duo stellte die Zu­lassungs­hard­ware für das PurePower® PW1100G-JM, den A320neo-Getriebe­­fan, her: die fünfte und die sechste Hoch­druck­ver­dichter-Stufe, also Blisks mit einem Durch­messer von rund 450 Milli­metern und geo­metrisch extrem komplexen Schaufeln. Die Muster­bau­teile wurden vom Auftrag­geber Pratt & Whitney hin­sichtlich Festig­keit und Geo­metrie auf Herz und Nieren geprüft – und haben bestanden: Seit September 2015 wird in Serie produziert; zwischen­zeit­lich kamen zwei weitere Anlagen hinzu, ein drittes Duo ist im Aufbau und weitere zwei Anlagen sind geplant.

Die MTU beschäftigt sich schon einige Zeit mit der zukunfts­weisenden PECM-Tech­no­logie. In Gang gesetzt wurde die Ent­wicklung durch die Erkenntnis, dass sich die Blisk­bau­weise immer weiter durchsetzt, zunehmend auch im Hoch­druck­ver­dichter­bereich. Blisks haben gegenüber ihren Pendants mit gesteckten Einzel­schaufeln einen großen Vorteil: Durch die integrale Bau­weise wird die Rand­last der Rotor­scheiben reduziert und damit Gewicht gespart. Zusätzlich trägt der Weg­fall von Leckagen zu einem bes­seren Wirkungs­grad im Ver­dichter bei. „Beides zusammen reduziert den Kraft­stoff­ver­brauch und damit auch den CO2-Aus­stoß des Trieb­werks“, erklärt MTU-Ingenieur ­Thomas Frank, Leiter Rotor­fer­tigung und für Nickel­blisks verantwortlich.

Präzisionsarbeit Die fertig bearbeitete Hochdruckverdichterblisk wird aus der Maschine geholt. Das Bauteil ist bereits auf Endkontur gearbeitet, da PECM wesentlich exakter ist als herkömmliches elektrochemisches Abtragen.

Neues Verfahren für neue Geometrien und Werkstoffe

Die Verbrauchs­vor­teile und die Emis­sions­re­du­zierungen bekommt man technisch gesehen jedoch nicht geschenkt. Bei den Stufen fünf und sechs im Hoch­druck­ver­dichter herrschen Tempera­turen von rund 650 Grad Celsius. Dafür ist der im Ver­dichter­bau übliche Werk­stoff Titan nicht geeignet, denn das Leicht­metall weist bei diesen Tempera­turen nicht mehr die geforderte Festig­keit auf. Für das PW1100G-JM werden statt­dessen hoch­tempera­tur­feste Nickel­le­gierungen eingesetzt, die mit konven­tionel­len Fräs­ver­fahren aufgrund des hohen Werk­zeug­ver­schleißes nicht wirt­schaft­lich bearbeitet werden können. Hinzu kommt die extrem komplexe 3D-Geo­metrie der Schaufel­blät­ter. Das bisher für größere Blisks erfolg­reich ein­gesetzte ECM-Verfahren stößt da an seine Grenzen. Es musste eine noch präzisere Methode entwickelt werden: PECM.

Beim PECM- wie auch beim ECM-Verfahren wird mit Hilfe eines Elektro­lyten sowie elektrischen Stroms ein metal­lischer Werk­stoff gezielt aufgelöst. Dabei dient der zu bearbeitende Werk­stoff als Anode (positiver Pol) und das drei­dimen­sionale, metal­lische Ab­form­werk­zeug als Kathode (negativer Pol). Der große Vorteil von PECM gegenüber zer­spanenden Ver­fahren: Das Bau­teil wird nicht berührt, weshalb die Werk­zeuge ver­fahrens­bedingt nicht ver­schleißen. Als Elektrolyt kommt eine wässrige Natrium­nitrat­lösung zur Verwendung, die zwischen Anode und Kathode fließt. Diese Flüs­sig­keit hat drei Funktionen: Sie stellt eine elektrisch leitende Ver­bindung her, sorgt für den Abtrans­port des ab­ge­tragenen Materials sowie des entstehenden Was­ser­stoffs und kühlt den Prozess. Das PECM-Verfahren erzielt im Vergleich zum ECM-Verfahren höhere Genauig­keiten durch die Be­arbei­tung mit extrem kleinen Spalten im Mikro­meter­be­reich zwischen Werk­stück und Elektroden.

Die elektrisch leitende Natriumnitratlösung dient zugleich als Kühlmittel und zum Abtransport des abgetragenen Metalls.

Die elektrisch leitende Natriumnitratlösung dient zugleich als Kühlmittel und zum Abtransport des abgetragenen Metalls.

Steuerung des PECM-Prozesses. Das Bauteil wird nicht berührt, weshalb die Werkzeuge kaum verschleißen.

Steuerung des PECM-Prozesses. Das Bauteil wird nicht berührt, weshalb die Werkzeuge kaum verschleißen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen, ein­achsigen Ver­fahren wird das Werk­stück mit zwei Elektroden gleich­zeitig, die auf­ein­ander zufahren, bearbeitet. Das war nicht einfach in den Griff zu bekommen. Auch die Elek­trolyt­lösung musste noch verbessert werden. Daher entschied sich die MTU, die Serien­an­lagen selbst zu entwickeln und auf­zu­bauen. Martin Bußmann, Projekt­leiter für die In­dus­trialisierung des neuen Ver­fahrens: „Wir hatten bereits spezielles Know-how auf­gebaut, so dass wir auf der einen Seite die gleiche Qualität bei externen Lieferanten gar nicht mehr bekommen konnten – und auf der anderen Seite natürlich auch diesen Wissens­vor­sprung halten wollten.“

Die Technologie­entwicklung hat sich ausgezahlt, denn die Vor­teile des PECM-Pro­zesses sollen künftig auch bei anderen Bau­teilen oder Fer­tigungs­schrit­ten genutzt werden. Denn prinzi­piell ist das Ver­fahren für viele An­wen­dungen geeignet, etwa zur Kanten­ver­run­dung oder zur Her­stellung einzelner Lauf- und Leit­schaufeln. „Die Schau­fel­geo­metrien im Hoch­druck­ver­dichter­be­reich werden noch komplexer, die Werk­stoffe immer warm­fester. Konventionelle Zer­spanungs­tech­nik stößt hier mehr und mehr an ihre wirt­schaft­lichen und tech­nischen Grenzen“, sagt Pro­duktions­leiter Frank. „PECM bietet eine zukunfts­fähige Alter­native.“

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